Liebe Leserinnen und Leser,
dass in Wolfsburg nach dem Aus des e-Golf in nicht allzu ferner Zukunft nicht nur Hybride, sondern auch wieder reine Elektro-Autos vom Band rollen, wird immer wahrscheinlicher. Nachdem Betriebsratschef Bernd Osterloh diesen Schritt bereits gefordert hatte, zieht nun auch der Vorstand nach.
VW-Markenchef Ralf Brandstätter kündigt an, die Produktion von Stromern im Stammwerk ernsthaft zu prüfen. Immerhin bietet der Standort reichlich Vorteile: die Nähe zu wichtigen Komponentenwerken in Braunschweig und Salzgitter und bereits reichlich Erfahrungen mit der Produktion von E-Autos.
Für Wolfsburg wäre dies natürlich ein Segen. Angesichts sinkender Stückzahlen und einem drohenden Negativrekord in Sachen Auslastung muss etwas geschehen. Noch sorgen die Golf-Modelle, vor allem die Hybride, für Volumen, sodass VW im vierten Quartal sogar Sonderschichten einberufen hat. Aber die Kompaktklasse und noch mehr kompakte Verbrenner sind eindeutig nicht die Zukunft der Autobranche. Die ist elektrisch, zumindest bei VW, wie die Milliardeninvestitionen klar signalisieren. Mit dem ID.3, mit dem jetzt übrigens auch
Bundestrainer Jogi Löw durch die Gegend düst, sowie dem Elektro-SUV ID.4 kommt die VW-Zukunft jetzt auch auf die Straße.
Der ID.4 feierte just Weltpremiere, VW erhofft sich von dem schnittigen Modell nun auch einen Welterfolg. Wenn ein Mitglied der neuen ID-Familie demnächst in Wolfsburg gebaut würde, würde das Unternehmen zeigen, dass auch die Produktion am Stammsitz Zukunft hat.
Was VW hingegen schnellstmöglich hinter sich lassen will, ist der Diesel-Skandal. Bei den Vergleichen und Prozessen mit den Verbrauchern ist man schon ziemlich weit. Doch jetzt wird vor allem die strafrechtliche Seite der unappetitlichen Angelegenheit brandheiß.
Gegen Ex-Audi-Chef Rupert Stadler beginnt der Prozess am Mittwoch in München. Auf ihn könnte eine lange Haftstrafe zukommen, gepaart mit einem öffentlichen Spießroutenlauf. Der droht auch EX-Konzernchef Martin Winterkorn. Dass “Mr. Volkswagen” wegen mutmaßlichen Betrugs vor Gericht kommt, war bereits klar, jetzt wird er auch noch
wegen Marktmanipulation angeklagt. Zudem erhebt die Braunschweiger Staatsanwaltschaft gegen acht weitere VW-Mitarbeiter, darunter auch Führungskräfte, Anklage. Es geht um mutmaßlichen Betrug in einem besonders schweren Fall, mittelbare Falschbeurkundung und Wettbewerbsverstöße sowie teilweise um Untreue und Steuerhinterziehung. Für VW heben die Prozesse das hochnotpeinliche Thema also wieder auf die Tagesordnung.
Gleiches gilt für die Corona-Krise. Auch die ist noch längst nicht abgeschlossen. VW bleibt deshalb extrem vorsichtig und zieht die Zügel an.
Betriebliche Weihnachtsfeiern sind in diesem Jahr verboten, auch privat sind die Mitarbeiter angehalten, lieber auf die meist feucht-fröhlichen Festivitäten zu verzichten. Andere dienstliche Veranstaltungen mit mehr als 15 Personen sind ebenfalls weiter ausgesetzt. Und: Bis mindestens Ende Oktober werden Parkplätze ums VW-Werk weiter ziemlich leer bleiben. Nur wenn gar nicht anders möglich, sollen die Mitarbeiter am Arbeitsplatz erscheinen, ansonsten ist weiter Homeoffice angesagt.
Die Zeiten bleiben also turbulent, im Guten wie im Schlechten. Den Mitarbeiter dürften daher reichlich Fragen auf den Nägeln brennen. Antworten auf einige davon können sie Ende Oktober erwarten. Dann wollen Unternehmen und Betriebsrat die Belegschaft per digitaler Betriebsversammlung über die aktuelle Lage informieren.
Gute Fahrt wünscht Ihnen
Steffen Schmidt