Liebe Leserinnen und Leser,
mit massiven Investitionen und forschem Auftreten setzt sich Volkswagen an die Spitze der Transformation der Automobilindustrie. Lange galten gerade die Vertreter des wichtigsten deutschen Industriezweigs als Bremser einer Klimaschutzpolitik, jetzt übernimmt VW sogar die Rolle des Mahners und Beschleunigers im Kampf gegen den Klimawandel. Geplante strengere CO2-Vorgaben der EU werden nicht mit Protest, sondern eher mit Beifall aufgenommen. Die Strategie dahinter ist klar: Das Unternehmen wähnt sich beim Thema E-Mobilität weiter als die Konkurrenz. Die E-Offensive kommt gerade richtig ins Rollen. Allein bei der Kernmarke geht es nach ID.3 und in Kürze ID.4 mit dem ID.5, ID.6, dem Aero B und dem ID.Buzz Schlag auf Schlag. Sogar die Entwicklung
eines elektrischen Kleinwagens für um die 20 000 Euro – lange aufgrund noch kleiner Margen als Projekt für die fernere Zukunft vorgesehen – wird jetzt massiv beschleunigt. Der Konzern hat damit weiter die Pole-Position im Rennen um die schnellste Elektrifizierung der Flotte. Strengere Klimavorgaben können da nur helfen, den Vorsprung zur Konkurrenz auszubauen.
Doch besonders zwischen ihm und der Arbeitnehmervertetung soll das Verhältnis problematisch sein. Sichtbar wurde dies jetzt bei der Feier des Betriebsrates zu 75 Jahren Mitbestimmung bei VW. Bei der Feierstunde war Diess erst gar nicht anwesend,
schickte stattdessen kühle, mehr an eine Warnung als an einen Glückwunsch erinnernde Worte: VW habe noch Nachholbedarf beim Thema Effizienz, hieß es da. Beinahe ein Synonym für Personalabbau und Arbeitsverdichtung, und das in einer Zeit, in der die Belegschaft sowieso schon unter den Corona-Bedingungen ächzt. Dass Diess das „System Wolfsburg“ mit dem großen Einfluss des Betriebsrates ein Dorn im Auge ist, daraus macht er selbst kaum ein Geheimnis, spricht von „verkrusteten Strukturen“. VW müsse agiler, schneller werden, lautet sein Credo.
Dem Betriebsrat und vor allem der IG Metall ist das Tempo des Wandels hingegen zuweilen eher zu hoch. Die Transformation dürfe nicht auf Kosten des Wohlstandes und damit der Arbeitsplätze gehen, wird immer wieder betont. Diess‘ vorpreschende Art ist da eher nicht geeignet, Unsicherheit zu nehmen und die Wogen zu glätten. Die Frage, ob und wann aus dem schwelenden Konflikt ein handfester Machtkampf wird, wird die Konzernwelt wohl noch einige Zeit in Atem halten.
Gute Fahrt wünscht Ihnen,
Steffen Schmidt