Liebe Leserinnen und Leser,
wie ein Zug, der sich nicht bremsen lässt, überrollt die Transformation die Autoindustrie – es ist keine Frage mehr, ob und wann, sondern nur noch, wie sich auch VW verändern wird und muss. So umgreifende Veränderungen sind ganz natürlich immer mit Ängsten verbunden. Im Stammwerk und in der Stadt Wolfsburg sorgt man sich vor allem um die Auslastung. Was wird aus der größten Autofabrik der Welt, wenn das traditionelle Geschäft mit dem Verbrenner nicht mehr läuft? Die ersten Anzeichen sind schon zu spüren, die Auslastung erreicht in diesem Jahr –natürlich auch befeuert von Corona – einen neuen Tiefstand. Wenn sich der Zug also nicht aufhalten lässt, gilt es zumindest, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass
Betriebsratschef Bernd Osterloh jetzt noch einmal nachdrücklich ein E-Auto für das Wolfsburger Werk fordert. Nur so lasse sich auch langfristig die Auslastung im Stammwerk sichern, argumentiert er.
Bisher stand eine Umrüstung des Werks jedenfalls kurzfristig noch nicht zur Debatte. Wolfsburg sollte mit den Verbrennern das Geld für die Transformation einspielen. Doch der Wandel zur E-Mobilität hat nun mehr Fahrt aufgenommen als gedacht. Die Nachfrage nach Stromern steigt stetig, und jetzt will auch noch die EU die Klimaschutzvorgaben weiter verschärfen. Volkswagen-Chef Herbert Diess sieht den Konzern allerdings darauf vorbereitet.
VW stehe sowieso an der Spitze des Wandels, meint der Konzernchef. Mit dem ID.3 und noch mehr dem ID.4 plant man den Thron des Elektro-Marktes zu erobern. Schon in
diesem Jahr soll das Elektro-SUV an die ersten Kunden übergeben werden. Die Hoffnungen, die VW in das Auto setzt, sind riesig: Denn neben der E-Mobilität boomt weiterhin das SUV-Segment.
Volkswagen drückt bei der Mobilitätswende also selbst gehörig aufs Tempo. Herbert Diess hat mit strengeren Klimavorgaben deswegen nur wenig Probleme. Politik und Gesellschaft müssten beim Wandel nur mitziehen, meint er. Zudem biete die Transformation auch Chancen.
Zahlreiche neue Jobs würden entstehen, jedoch in ganz anderen Bereichen als bisher, vor allem im IT-Bereich. An der neuen Car-Software-Organisation von Volkswagen kann man dies schnell erkennen. Bis zu 10 000 Experten will VW in der neuen Konzerneinheit beschäftigen. Der Personalaufbau läuft auf Hochtouren. Neben Kräften aus den eigenen Reihen werden auch etliche neue Talente gesucht. Erst kürzlich wurden fast 400 Mitarbeiter an nur zwei Tagen neu eingestellt.
Dass bei einem so tiefgreifenden Wandel einer ganzen Branche auch Jobs wegfallen, zeigt indes ebenfalls ein Beispiel aus der Region. In Salzgitter steht das Werk der VW-Tochter MAN auf der Kippe.
Mehr als 1000 Arbeitsplätze sind in Gefahr. Und auch bei VW selbst werden Jobs abgebaut, wenn auch sozialverträglich. Einer der wichtigsten Bausteine dafür ist das Instrument der Altersteilzeit.
Der Geburtenjahrgang 1963 darf die beliebte Regelung jetzt beantragen. Ob diese Mitarbeiter noch ein Elektro-Auto der neuen Generation von den Wolfsburger Bändern rollen sehen, darf, bei allem Tempo des Transformationszugs, bezweifelt werden.
Gute Fahrt wünscht Ihnen
Steffen Schmidt