Liebe Leserinnen und Leser,
noch sind die schlimmsten Befürchtungen nicht wahr geworden, doch angesichts der dramatisch steigenden Infektionszahlen ist aus der Gefahr einer zweiten Corona-Welle bereits Realität geworden – und das Schreckgespenst eines zweiten Lockdowns schwebt drohend über der deutschen Wirtschaft. Bei Volkswagen tut man alles, um das Virus zurückzudrängen: Die Corona-Maßnahmen wurden nochmals verschärft, wer irgend kann, soll
bis Jahresende weiter aus den eigenen vier Wänden arbeiten. Veranstaltungen sind gestrichen, und der Vorstand appelliert mit Nachdruck an die Beschäftigten, die unternehmenseigenen Testmöglichkeiten zu nutzen.
Bisher ist diese Taktik von Erfolg gekrönt. Infektionsketten konnten im Werk vermieden werden, die Zahl der bekannten Fälle innerhalb der Belegschaft ist weiter gering. Die Unsicherheit ist dennoch groß – das zeigen Gerüchte über angebliche größere Virusausbrüche bei VW oder
jüngst auch bei der Tochter Sitech, die immer mal wieder aufkommen. Bisher hat sich jedoch glücklicherweise nichts davon als wahr erwiesen.
Ein zweiter Lockdown wäre für Volkswagen kritisch und für viele kleinere Unternehmen wohl fatal. Und damit hätte auch VW aufgrund der Komplexität der Lieferketten ein echtes Problem. Wie stark die Abhängigkeit selbst eines der größten Unternehmen der Welt von seinen Zulieferern ist, zeigt ein aktueller Fall vor dem Landesgericht Braunschweig. VW fordert dort 66 Millionen Euro Schadensersatz von der Prevent-Gruppe. Diese hatte die Preise 2018 um bis zu 700 Prozent angehoben. VW brauchte die Teile und musste erst mal zahlen, jetzt will man das Geld zurück.
Zudem haben sich die Wirtschaft und speziell die Autoindustrie gerade erst erholt. Die Auslieferungen stiegen im dritten Quartal wieder an, sodass selbst VW-Chef Diess weitere Kaufprämien für unnötig hält. Zugpferd ist vor allem die Elektromobilität, bei der Volkswagen mit den neuen Modellen und Hybridversionen ganz vorne mitmischt. Die
Zahlen des ID.3 etwa untermauern seinen Status als Hoffnungsträger – was allerdings, wie der gesamte Elektro-Boom, dem Golf schaden könnte. In Wolfsburgs
Oberbürgermeister Klaus Mohrs, der jetzt ID.3 fährt, und Betriebsratschef Bernd Osterloh,
der schon mit dem ID.4 probeweise durch Wolfsburg düste und dies im Internet teilte, gibt es indes prominente Werbegesichter für die E-Autos von Volkswagen. Und der Boss Herbert Diess treibt neuerdings als Influencer das Marketing für die Konzernprodukte in ein neues Zeitalter.
Dass Corona die gerade in Gang gekommene Elektro-Offensive nun wieder ausbremst, kann Volkswagen deswegen so gar nicht gebrauchen. Und so versucht der Konzern derzeit auf der Welle der Elektromobilität zu surfen und gleichzeitig der Pandemie-Welle auszuweichen. Man darf gespannt sein, ob das Kunststück gelingt.
Gute Fahrt wünscht Ihnen,
Steffen Schmidt